Lieber Paul!
Mein „allerliebster Ehemann“, wie ich dich so gerne nannte. Oft hattest du geglaubt, dass du mir zur Last fällst, wegen deiner Erkrankung. Jetzt musst du auch noch das Denken für mich übernehmen, hast du gehadert. Dabei habe ich das gerne gemacht. Hatte dich gerne um mich. Mit jedem gemeinsamen Schritt bin ich mehr und mehr zur Expeditionsleiterin geworden. Und daran gewachsen.
Als du bereits mit Mitte fünfzig die Demenz-Diagnose gestellt bekamst, war das natürlich ein Schock. Obwohl wir es schon vermutet, obwohl wir es gespürt haben. Gemeinsam sind wir den Weg gegangen. Jetzt, da du nicht mehr lebst, merke ich noch mehr, wie sinnerfüllt mein Leben dadurch wurde. Wie bereichert durch die Menschen, die uns unterstützt haben. Zum Glück gibt es die „Aktion Demenz“ die ein aufgeklärtes Bild von Demenz und hilfreiche Kontakte vermitteln.
Wir liebten und pflegten unsere täglichen Spaziergänge. Dabei haben wir uns zunehmend Zeit gelassen. Haben immer öfter innegehalten, um den Geschehnissen um uns herum unsere Aufmerksamkeit zu schenken. Dadurch sind wir selber langsamer, gelassener geworden. Leider wurdest du zunehmend anfälliger für Infektionskrankheiten. Von einer Lungenentzündung hast du dich dann nicht mehr erholt.
An deinem Geburtstag schreibe ich dir nun diesen Brief. Um dir zu sagen, dass es mir gut geht. Nach wie vor gehe ich „unsere“ Wege. Dabei ziehe ich nach Möglichkeit das rosa Kleid an, das du so gerne an mir mochtest. Obwohl ich glaubte, dass dieses nicht mehr meinem Alter entspricht, hast du mich ermutigt es zu tragen. Der Welt und mir zuliebe, hast du gesagt. Es steht dir sehr gut, meine schöne Frau.
Dann setze ich mich auf die Bänkle auf denen wir gemeinsam gesessen sind, um Schmetterlinge, Ameisen und Schnecken zu betrachten. Den Liebesflug der Libellen am Weiher, die ein Herz bilden, wenn sie sich paaren. Die Kinder, die Alten, unsere warmen Hände und die vergänglichen Kunstwerke von Fußspuren im Schnee. Manchmal setzen sich Andere zu mir und wir kommen ins Gespräch.
Ich erzähle von uns. Das Leben habe uns diesen Weg zugemutet, sage ihnen, wenn sie mich anfangs bedauern wollen. Immer wieder höre ich dann, wie ermutigend es sei, unsere Geschichte zu hören. Dass sie gerade auch eine schwierige Situation hätten. Jetzt ist mir gerade wieder leichter geworden, sagen sie oft. Du, ich habe jetzt eine neue Aufgabe gefunden. Ich bin eine Mutmacherin.
In Liebe,
deine Gundula
Text und Fotos: Michael Müller, Aktion Demenz Rankweil. November 2023 (15 – Jahre Aktion Demenz)